Der Artikel zum Nissan 350Z Roadster stammt aus meinem Archiv und erschien in dieser oder abgewandelter Form in verschiedenen Print- und Onlinemagazinen.
Rückblick. Ein Sonntagabend im März. Vor einigen Jahren. Hamburg liegt, wie halb Deutschland, im ungewöhnlichen Schneechaos, obwohl alles auf den Frühling wartet. Ich sitze vor dem Rechner und googele mich ins Nirwana, weil mir eine Düsseldorfer Agentur „die Auto-Story“ mit einem US-Influencer angeboten hat.
Das Motorengeräusch eines beschleunigenden Carrera GT unterbricht die Gedanken an selbstdrehende Chromfelgen, getunte Murcielagos, schweren Schmuck und sexy Videogirls – mein Smartphone klingelt.
Marcel, ein Fotograf und alter Freund aus Holland, der nach harten Jahren der Portrait-Tingelei Fuß in der Modebranche gefasst hat, ist am anderen Ende: „Wann bist Du hier, kommst Du gut durch?“, will er wissen. „Typisch“, höre ich meine nervige Ex-Freundin im Geiste sagen. „Wir müssen reden! Wie konntest Du nur seinen Geburtstag vergessen?“
Wie es halt so ist bei der perfekten Absicherung durch E-Mail, WhatsApp und alle anderen Kanäle: Einige Männer sind nicht wirklich gut in solchen Dingen. Dafür nehmen wahre Freunde diese Vergesslichkeit gerne in Kauf; sie sind selbst nicht besser. Ich bestätige Marcel mein Erscheinen und erwähne, dass es ein wenig später werden könnte. Um 23:00 Uhr beginnt seine Feier im „Hotel de l’Europe“ – in Amsterdam.
Spontaneität in allen Ehren; hätte eine meiner elektronischen Hilfen von mir die Fütterung bekommen und die Info rechtzeitig geschickt – ich wäre frisch gestylt sowie total relaxt nach Amsterdam gejettet. Ausreden zählen nicht. Und ausgerechnet heute habe ich keinen fiesen Testwagen mit 600 PS, den ich schnell nach Amsterdam prügeln könnte. Das Einzige, was die Garage an diesem winterlichen Sonntagabend im Schnee hergibt, ist das Privatauto.
Ein Nissan 350Z Roadster. Mit Sommerreifen. Aber voll betankt. Warum eigentlich nicht? Dabei sein ist alles. Wenn das Wetter unterwegs zu schlimm wird, drehe ich einfach um und sage Marcel ab. Okay, kurz ins Bad, rein ins weiße Party-Hemd und den schwarzen Anzug und los. Das Punkteabbau-Seminar in der nächstgelegenen Fahrschule lässt grüßen…
Um 21:10 Uhr biege ich von der Elbchaussee in den Hohenzollernring. Nur noch knapp zwei Kilometer bis zur Autobahnauffahrt. Das knackige Z-Lenkrad liegt gut in der Hand, die sensationellen Ledersitze erwärmen sich langsam und verleihen mir den notwendigen Halt, den ich in den nächsten Stunden benötigen werde. Die Autobahn ist überraschenderweise extrem frei. Es sind zwar acht Grad minus, aber die Fahrbahn ist trocken, und es gibt keine Anzeichen von Glätte.
Die Bridgestone Potenza Sommer-Pneus der Dimension 225/40R18 (vorn) und 245/45R18 (hinten) legen die Karosse trotz der Minus-Temperaturen sauber auf den gesalzenen Asphalt; die freie Sicht auf allen Spuren und das sonore Röhren der in Wallung kommenden Abgasanlage im Elbtunnel bestätigen meine Hintergedanken: Das könnte eine gute Zeit werden bis Amsterdam.
Kaum Verkehr und knochentrocken. Vollgas. Nach wenigen Minuten bin ich beim Buchholzer Dreieck auf die A1 gewechselt. Die Strecke bis Bremen ist um diese Zeit eine dankbare Sache. Das Auto und sein Steuermann erreichen langsam Betriebstemperatur und jagen wie die asiatische Version des Blue Train auf fiktiven Schienen gen Osnabrück. Bis jetzt sind keine 40 Minuten vergangen, und die Uhr zeigt 21:48 Uhr an.
Die A1 ist ab und an dreispurig. Ich habe Glück, dass sich mir kaum LKW’s in den Weg stellen. Nur zweimal müssen die Brembos bei knapp 250 km/h wegen der Elefantenrücklichter am Horizont mit halber Kraft eingreifen, um für ewig lang erscheinende Zeiträume den Trucker-Stunts, sprich Überholen mit zwei km/h mehr auf der Uhr, zuzuschauen. Hey, Sonntagsfahrverbot! Die gut im Futter stehende Elastizität der 280 PS bringt den rasenden Roadster schnell wieder auf die optimale Schnelligkeit.
Ich komme perfekt durch. Kein Verkehr, vor mir nur die Autobahn und der Lichtkegel aus den so sympathisch dreinblickenden Xenon-Strahlern. Bei den Geschwindigkeitsbegrenzungen vertraue ich darauf, dass der Großteil deutscher Gesetzesvertreter die verdiente Wochenendruhe genießt, um sich auf Montagmorgen vorzubereiten. Das vordere Nummernschild habe ich nicht abmontiert.
Verdammt, wenn das so easy weitergeht, brauche ich nicht mehr lange bis Amsterdam. 22:25 Uhr und die Grenze ist nicht mehr weit. Das Einzige, was mich in diesem Moment interessiert, ist, dass der Drehzahlmesser, groß und rund nach Boliden-Vorbild in der Mitte der Armaturen angebracht, möglichst weit in den roten Bereich zeigt. Richtung Niederlande nimmt der Verkehr zu. Ich darf noch ein paar Mal die knackigen Schaltwege benutzen und einen schnellen 7er BMW überrunden, dann ist es soweit: Holland.
Und ich in Not. Der Tank ist fast leer. Wie der Kassierer mir bei meinem hektischen Super-Plus-Stopp irgendwo in der Nähe von De Lutte berichtet, ist das Stück bis Amsterdam gut mit Blitzern vermint. Also vorausschauend fahren und immer, wenn das schlechte Gewissen oder ein optischer Reiz plagen, Fuß vom Gas.
Direkt hinter mir war die ganze Fahrt noch niemand, bei den seltenen Blicken in den Rückspiegel erahnte ich nur das Z-Logo des fest montierten Glas-Windschotts. In Holland ändert sich das. Die Einheimischen fahren trotz Geschwindigkeitsbeschränkung zügig, teilweise äußerst zügig. Was für ein Zufall; der drängelnde Golf R darf mich überholen, und ich hänge mich an ihn ran.
Mit 180 km/h gleiten wir im Duett Richtung Amsterdam. Nach circa 450 Kilometern seit Hamburg verlasse ich um 23:32 Uhr mit einem Dank per Lichthupe an den R-Driver die holländische A10 mit Ziel Amsterdam Zentrum. Nur noch knapp acht Kilometer bis zum „Hotel de l’Europe“.
Marcel empfängt mich mit einem Grinsen und beschwert sich, dass ich wie immer zu spät sei. Der 350Z Roadster kühlt vor dem Eingang des Hotels geparkt seine Verschleißteile. Zerheizt. Es mag verrückt sowie verantwortungslos und schon gar nicht political correct sein: Aber das sind die besonderen Momente im Leben eines Autoverrückten. Und ich bin einer von ihnen.
Als ich noch kurz darüber nachdenke, demnächst mein iPhone mit wichtigen Geburtstagsdaten zu speisen, fällt mein Blick zurück auf den dreckverkrusteten Z. Wann war noch Kims Geburtstag? Kim – aus Zürich…
Fotos: sierks.com via Samsung Galaxy