Der Artikel zum Bugatti Veyron stammt aus meinem Archiv und erschien in dieser oder abgewandelter Form in verschiedenen Print- und Onlinemagazinen.
Wir fahren mit 2.002 PS auf acht Rädern vor. Es gibt einen plötzlichen Auflauf beim Fairmont Hotel Monte Carlo. Zwei unwahrscheinlich seltene Boliden der Automobilschöpfung rollen im Schritttempo zum Eingang. Der Parkboy weist die filmende und fotografierende Gruppe asiatischer Touristen an, ihre hektische Versammlung aufzulösen. Der Weg ist frei.
So und nicht anders erging es uns andauernd während dieser Geschichte hier. „Bugatti gucken“ scheint ein weit verbreitetes Phänomen zu sein. Auch – oder eben gerade – in Monaco. Wer eines der seltenen Gefährte besitzt und sich damit bewegt, zeigt es in der Regel gerne. Also vereinbarten wir ein Date.
Und führten zwei Ausnahmeerscheinungen zu einem Paarlauf. Wo könnten diese Fahrzeuge standesgemäß besser hinpassen, als in eine sommerliche High-Class-Location an der Côte d’Azur? Mal abgesehen von der Möglichkeit, man würde ihnen nachts auf deutschen Autobahnen oder tagsüber auf einer freien Rennstrecke Auslauf gewähren.
Kommen wir zu unseren Protagonisten, die so magisch anziehend auf die Menschen wirken, denen sie begegnen. Die verschiedenen Brüder, die sich Jahre, nachdem sie in Molsheim in denselben Hallen das Licht der automobilen Welt erblickten, jetzt in Monaco wiedertreffen.
Da ist der Bugatti Veyron 16.4 Sang Noir (Sang Noir = Schwarzblüter), der elfte von nur 15 gebauten weltweit. Der Sang Noir ist ein Sondermodell in einer der am exklusivsten erhältlichen Formen. Die tiefschwarze Lackierung legt eine ebenso verführerisch böse wie faszinierende Schönheit offen, die besonders durch die schwarze Seitenkarosserie nachhaltig betont wird.
In edel-dunkel sind zudem der Tankdeckel, die Türgriffe, die Frontscheinwerfer und sogar der Ansaugstutzen gehalten. Metall-Elemente wie der Kühlergrill, die Seitenspiegel oder die Räder setzen sich eindrucksvoll ab. Der Innenraum wurde komplett mit orangefarbenem Leder ausgearbeitet.
Daneben steht der wohl seltenste Nackedei der Welt. Der erste von nur fünf jemals hergestellten Bugatti Veyron 16.4 Pur Sang (Pur Sang = Vollblut). Eine Farblackierung suchen Sie bei Nummer #1 vergeblich. Reines, poliertes Aluminium wirft seinen Schein von der Oberfläche und glänzt in Kombination mit matten Carbonteilen um die Wette. Durch die prickelnde Aluminiumverkleidung werden die luxuriös-muskulösen Konturen des Veyron perfekt hervorgehoben.
Bei diesem Anblick bekommt der Begriff farblos eine ganz andere Sichtweise. Selbst in den Felgen spiegelt sich der Betrachter reiner als in herkömmlichen, sauberen Alufelgen. Um dieser ganzen Unverwechselbarkeit die absolute Krone aufzusetzen, ist der erste aller Pur Sang der Einzige seiner Art mit heller Innenausstattung.
So versetzt uns das Bugatti-Duo in einen Sturm der Begeisterung. Mit einem kleinen Wermutstropfen. Die Faszination daran, die raren Auto-Superlative als erstes Magazin überhaupt zu einer Ausfahrt zusammengebracht zu haben, stellt uns in Monaco vor eine schwere Aufgabe. Durch die so krassen unterschiedlichen Farbgebungen und die damit verbundenen Spiegelungen ist es eine richtige Herausforderung, beide Fahrzeuge gemeinsam auf Bildern abzulichten.
Dabei sollte diese Chance genutzt werden, denn schnell kann alles vorbei sein. Die Geschichte des auf insgesamt 300 Stücke limitierten Veyron 16.4 ist ja bekanntlich längst zu Ende. Das finale Fahrzeug dieser Serie wurde bereits im Herbst 2012, also vor sieben Jahren, an den letzten neuen Besitzer ausgeliefert.
Die Konzeption und der Bau des Veyron waren eine der größten Meisterleistungen im Automobilbereich. Volkswagen sicherte sich damals die Markenrechte und präsentierte 1999 in Tokio die Studie EB 18.4 Veyron. 2001 fiel die Entscheidung zur Produktion mit 16 Zylindern und einer nie dagewesenen Leistung. Bei der Entwicklung zur Serienreife traten Probleme auf, die vor allem mit der immensen Kraft, der Höchstgeschwindigkeit und dem cw-Wert zu tun hatten.
Durch diese Erfahrungen und deren Weiterentwicklung wurde der Veyron zu einer Sammlung technischer Feinheiten. Es war das erste Mal, dass das Monocoque eines Serienfahrzeuges vollständig aus Kohlefaser bestand. Die Torsionssteifigkeit des Veyron ist wohl bis heute kaum zu übertreffen.
Der 7,993 Liter große 16 Zylinder Motor – mit den vier stufenlos verstellbaren Nockenwellen und vier Turboladern – erreicht 1.001 PS und ein Top-Speed von 407 km/h. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h ist in fabelhaften 2,5 Sekunden erledigt. Bis 200 km/h vergehen gerade mal 7,3 Sekunden. Und 300 km/h fahren Sie nach 16,7 Sekunden – alles aus dem Stand, wohlgemerkt.
Ein 7-Gang Doppelkupplungsgetriebe (DSG) bringt 1.250 Newtonmeter Drehmoment auf den Antriebsstrang und gehört mit extrem kurzen Schaltzeiten zu den schnellsten Automatikgetrieben der Welt. Der „Speed-Key“ – ein zweiter Zündschlüssel links neben dem Fahrersitz – verwandelt den Veyron ab 375 km/h durch Absenkung der Karosserie und Spezialstellung des hydraulischen Heckspoilers zu einer Art Keilform, damit der 16.4 aerodynamisch sicher bis 407 km/h vorpreschen kann.
Wenn alle Turbos nacheinander zünden, klingt dieses Automobil unter Volllast wie ein kampfbereiter Düsenjet. Nur der Veyron Super Sport mit 1.200 PS war noch schneller und steht mit 431,1 km/h immer noch in der Historie des Guinness Buches der Rekorde. Damit soviel Wucht und Kraft zum Stehen kommen, funktioniert die Keramik-Carbon Bremsanlage mit einem Kühlsystem und dem als Luftbremse arbeitenden Heckflügel in Kombination. Damit steht der Veyron bei 100 km/h nach 31,34 Metern und 2,3 Sekunden.
Zahlen und Fakten, die ebenso wie die gesamte, gemeinsame Präsenz der Automobile ein wenig schwindelig vor Glück machen. Leistungen, die wir bei unserer eher gemütlichen Ausfahrt in Monaco zwar deutlich spürten, aber nie abgerufen haben. Das Sammlerstück-Duo, das jeweils weiter über eine Million Euro wert ist, wurde quasi eingebettet und mit Bedacht gefahren.
Leibhaftige Stücke der Geschichte müssen eben behutsam behandelt werden. Der Bugatti Veyron 16.4 reiht sich nahtlos in die Reihe klassischer Bugatti ein. Er ist ein Collectors‘ Item. Wenn Sie über den finanziellen Rahmen verfügen: Kaufen Sie Einen. Oder Zwei.
Das Gefühl, mit solchen besonderen Fahrzeugen – und dann noch in den seltenen Editionen als Sang Noir und Pur Sang – unterwegs zu sein, ist unbeschreiblich. Sie schweben auf einer anderen Welle, genießen plötzlich jede Aufmerksamkeit wie „Bugatti gucken“ und steuern geradezu ins automobile Paradies.
Dann bringen Sie selbst die hektischen, asiatischen Touristen nicht mehr aus der Ruhe. Monaco, die beiden Bugatti und wir. Von diesem Speed-Dating an der Riviera werden wir noch unseren Enkeln erzählen…
© Fotos: sierks.com